Warum deine Produkt-Vision oft nichts taugt – und wie du es besser machst

Visionen sind sexy. Sie tauchen in jedem Pitchdeck auf, geben Gründern Orientierung, schaffen Klarheit im Team und helfen beim Fundraising. Aber genau darin liegt das Problem: Sie erzeugen oft eine gefährlich einseitige Sicht auf das Produkt. Denn eine Vision kommt von innen - von dir. Doch Produkte werden draußen benutzt - von anderen.

Wenn du digitale Produkte entwickelst, reicht es nicht, eine inspirierende Vision zu haben. Du brauchst validierte Annahmen, konkrete Erkenntnisse über Nutzerverhalten und eine radikale Bereitschaft, dich vom Überflüssigen zu trennen. Die Geschichte der elysium®-App zeigt, wie schnell eine gut gemeinte Vision in die falsche Richtung führen kann - und wie du es besser machst.

Was ist elysium® überhaupt? elysium® ist eine App, die klassische Personenführungsanlagen (Tourguide-Systeme mit Headsets und Funktechnik) durch eine appbasierte Lösung ersetzt. Statt zusätzlicher Hardware nutzen Guides und Teilnehmer einfach ihr eigenes Smartphone. Ziel: Sprachübertragung in Echtzeit - minimalinvasiv, einfach, ressourcenschonend. Das klingt schlank. War es aber lange nicht.

Wie eine Vision dein Produkt zerstören kann

Die ursprüngliche Vision von elysium® war umfassend: Wir wollten nicht nur die Geräte ersetzen, sondern das gesamte Tourguiding revolutionieren - inklusive digitaler Routen, automatischer Übersetzungen, GPS-Tracking, Content-Verwaltung, Chatfunktionen, Gruppenmanagement, Live-Feedback und einer eigenen Guide-Community.

Was wir nicht gemacht haben: prüfen, ob irgendjemand diese Features wirklich braucht. Wir bauten für ein imaginäres Ideal - nicht für reale Nutzer. Der Klassiker: Feature-Bloat. Alles sinnvoll gedacht. Aber ohne klare Erkenntnisse aus dem Markt.

Irgendwann kamen die ersten Zweifel: Die Nutzung war schleppend, der Onboarding-Prozess komplex, Guides fühlten sich überfordert, Teilnehmer sprangen ab. Also haben wir das gemacht, was wir von Anfang an hätten tun sollen: User Research.

Was wir konkret gemacht haben:

  • Qualitative Interviews mit Reiseveranstaltern, Stadtführern, Museumsdiensten

  • Usability-Tests in echten Tour-Situationen (laute Umgebungen, große Gruppen)

  • Shadowing bei Stadtführungen mit parallel laufender App-Nutzung

  • Quantitative Feedback-Auswertungen über NPS und gezielte Mikro-Umfragen

Erkenntnis: 90 % der Zielgruppe wollte vor allem eins - stabile, klare Audioübertragung, einfach bedienbar, ohne Registrierung, ohne Extras. Alle anderen Features waren nett, aber störend.

Feature-Reduktion als Produktstrategie

Also haben wir fast alles rausgeworfen.

  • Keine Account-Pflicht mehr.

  • Kein Download.

  • Kein Content-Management-System.

  • Keine GPS-Logik.

  • Keine Chatfunktion.

Was blieb: eine App, die genau eine Sache sehr gut kann - Sprache übermitteln. Schnell, zuverlässig, plattformunabhängig. Und plötzlich stieg die Nutzungsdauer. Supportanfragen gingen zurück. Der Vertrieb konnte das Produkt in einem Satz erklären. Der Product-Market-Fit war spürbar. Diese Entscheidung war nicht einfach - aber notwendig. Und sie zeigt: Nicht Visionen machen Produkte erfolgreich, sondern der radikale Fokus auf reale Probleme und echtes Nutzerverhalten.

Was du aus der elysium-Erfahrung lernen kannst

Du brauchst keine große Vision, um ein gutes digitales Produkt zu bauen. Du brauchst eine saubere Problemdefinition, valide Hypothesen und einen klaren, iterativen Prozess. Hier die zentralen Learnings, die du auf jedes digitale Projekt anwenden kannst:

1. Bau nicht für dich - bau für deine Zielgruppe: Du bist nicht der Nutzer. Dein Team ist nicht der Nutzer. Deine Investoren sind nicht der Nutzer. Wenn du nicht mit echten Nutzern arbeitest, baust du ein Fantasieprodukt.

2. Mach deine Annahmen sichtbar: Hinter jedem Feature steckt eine Annahme. Sprich sie aus. Dokumentiere sie. Priorisiere sie. Und dann: Teste sie.

3. Starte mit dem Kernnutzen: Was ist der kleinste gemeinsame Nenner, den alle Zielgruppen brauchen? Bau das zuerst. Gut. Zuverlässig. Ohne Ablenkung.

4. Kill your darlings: Das Feature, in das du am meisten Zeit gesteckt hast, ist oft genau das, was keiner braucht. Wenn du es nicht mit Daten verteidigen kannst - raus damit.

5. UX-Research ist keine Kür, sondern Pflicht: User Research ist kein Add-on. Es ist dein Fundament. Wer ohne Daten entwickelt, kann genauso gut würfeln.

Warum UX-Methoden dein wichtigstes Werkzeug sind

Bei Sidekick Collective helfen wir genau an diesem Punkt. Wir arbeiten mit Startups und kleinen Unternehmen an klaren Proof-of-Concepts, datenbasierter Feature-Validierung und pragmatischer UX-Strategie. Immer mit dem Ziel, dass du danach eigenständig weiterarbeiten kannst - ohne Berater-Abhängigkeit.

Unsere Methoden:

  • Lean UX Workshops

  • Probleminterviews & Bedürfnisanalysen

  • Feature-Priorisierung mit Evidence Mapping

  • Barrierefreiheits-Checks (EU-Richtlinie 2025)

  • Tool-Beratung mit Fokus auf Kosten (Figma, Notion, Maze, Dovetail etc.)

  • Schulung in KI-Tools zur Automatisierung von Research & Testing

Wir verkaufen keine Visionen. Wir helfen dir, echte Probleme zu lösen.

Anna Kollmer

AI & Networking

KI-Expertin & Netzwerkerin

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