Relationship Experience (RX): Warum echte Beziehungen die Zukunft von UX sind
Von UX zu RX: Was sich gerade verändert
User Experience (UX) war lange der Goldstandard, wenn es darum ging, digitale Produkte nutzerfreundlich zu gestalten. Buttons sollten klickbar sein, Inhalte leicht verständlich, Prozesse möglichst frustfrei. Das hat viel gebracht. Aber im Jahr 2025 reicht das nicht mehr.
Warum? Weil Technologie überall ist. Weil Künstliche Intelligenz, Automatisierung und personalisierte Erlebnisse den Alltag durchziehen - von Chatbots über algorithmengesteuerte Empfehlungen bis hin zu Sprachassistenten, die den nächsten Urlaub buchen. UX hat sich dadurch verändert. Es geht nicht mehr nur um einfache Bedienbarkeit, sondern um Vertrauen, Verbindung und Kontinuität. Willkommen in der Ära von Relationship Experience (RX).
RX denkt Beziehungen zwischen Menschen und digitalen Produkten weiter. Es geht nicht mehr nur darum, wie ein Nutzer durch eine App kommt, sondern wie sich die Beziehung über Zeit entwickelt. Wie fühlt sich der Nutzer nach einer Woche Nutzung? Nach einem Jahr? Wie fühlt er sich gesehen, verstanden, unterstützt?
Statt den Fokus nur auf einzelne Touchpoints zu legen, wird bei RX die ganze Beziehungsebene betrachtet. Ein Produkt ist nicht länger nur ein Tool – es wird zum Beziehungspartner. Das bedeutet: Nähe aufbauen, Kommunikation pflegen, ehrlich agieren. Vertrauen wird dabei zur zentralen Währung. Und die entsteht nicht durch Design allein, sondern durch Haltung.
Soft Skills als neue Hard Skills
Wenn Technologie sich schneller entwickelt als unsere Fähigkeit, sie zu hinterfragen, rückt eine neue Kompetenzklasse in den Mittelpunkt: Soft Skills. Klingt unspektakulär, ist aber der Kern von RX.
Im Vortrag von Laura Nielsen und Laura Cancellieri beim WUD Leipzig wurde das klar: Empathie, aktives Zuhören, emotionale Intelligenz und kulturelles Verständnis sind nicht länger "nice to have" – sie sind entscheidend. Denn nur wer Menschen wirklich versteht, kann digitale Beziehungen gestalten, die sich echt und relevant anfühlen.
Das wirkt sich auch auf die Arbeit in UX-Teams aus. Wer nur Interfaces pixelgenau aufsetzt oder Conversion-Ziele optimiert, denkt zu kurz. UX wird zum Übersetzer zwischen Nutzererwartung, Geschäftsmodell und technischer Machbarkeit – aber in einer Welt, in der KI und Systeme ständig mitlernen, braucht es mehr als funktionale Lösungen. Es braucht Beziehungsfähigkeit.
RX fordert also ein Umdenken: Weg von "Wie gestalten wir diesen Flow effizient?" Hin zu "Wie wollen wir als Produkt mit Menschen in Kontakt treten?" Das verlangt Reflexion und Klarheit. Unternehmen müssen ihre Haltung zu Themen wie Vertrauen, Transparenz, Datenschutz oder kultureller Sensibilität kennen - und diese in UX übersetzen. Soft Skills helfen, diese Haltung zu entwickeln und im Produkt spürbar zu machen. Nicht über Slogans, sondern über konsistente Erlebnisse.
RX konkret: Was das für Produkte bedeutet
RX ist kein Buzzword für Agenturpräsentationen. Es hat konkrete Auswirkungen auf die Gestaltung digitaler Produkte. Wer RX ernst meint, muss anders denken, planen und gestalten. Hier ein paar zentrale Prinzipien:
1. Beziehungen sind langfristig. UX denkt oft in Sessions – RX denkt in Lebenszyklen. Das bedeutet: Welche Rolle spielt dein Produkt im Alltag deiner Nutzer? Wie verändert sich diese Rolle mit der Zeit? Ein gutes RX-Design begleitet, entwickelt sich mit und reagiert auf Veränderungen im Leben des Nutzers. Beispiel: Ein Budget-Planer, der erkennt, wenn sich das Einkommen verändert, proaktiv Hilfe anbietet und gleichzeitig respektvoll mit persönlichen Daten umgeht.
2. Kommunikation ist keine Nebensache. Bei RX ist jede Interaktion Teil einer Konversation. Systemtexte, E-Mails, Push-Nachrichten – sie alle sind Ausdruck einer Haltung. Wer hier empathisch, konsistent und ehrlich kommuniziert, baut Vertrauen auf. Wer belehrt, überredet oder drängt, zerstört es.Beispiel: Statt einer generischen Fehlermeldung bei einem Login-Problem bekommt der Nutzer ein klares, verständliches Feedback mit optionaler Hilfestellung – ohne Schuldzuweisung, ohne Floskeln.
3. KI ist Beziehungsmanager, nicht nur Tool. Künstliche Intelligenz ist im RX-Kontext nicht nur Mittel zum Zweck, sondern Mitgestalter der Beziehung. Ob Chatbot, Empfehlungssystem oder automatisierter Support – alles wird daran gemessen, wie gut die Beziehung gepflegt wird.Beispiel: Eine KI, die nicht nur Produkte vorschlägt, sondern erkennt, wann es Zeit für eine Pause ist, Feedback einholt, empathisch reagiert – und auch mal Stille aushält.
4. Verantwortung statt Manipulation. Dark Patterns, Clickbait, künstliche Verknappung – all das sind Methoden, die RX untergraben. Wer Beziehungen will, muss ehrlich agieren. Der Preis ist höher, der Wert aber auch: Nutzer, die sich gut behandelt fühlen, bleiben. RX basiert auf ethischer UX. Beispiel: Eine App, die Nutzer:innen transparent sagt, wie ihre Daten genutzt werden – ohne Angst, ohne Fachchinesisch, mit echter Wahlmöglichkeit.
Fazit: RX ist kein Trend - es ist die neue Realität
Relationship Experience ist nicht die Weiterentwicklung von UX – es ist eine grundlegend andere Perspektive. In einer Welt, in der Maschinen sprechen, Systeme mitlernen und Erlebnisse durch Algorithmen gestaltet werden, reicht es nicht mehr, auf Effizienz zu setzen. Es braucht Vertrauen, Nähe und Klarheit.
Produkte, die RX ignorieren, werden Nutzer verlieren. Nicht, weil sie schlecht designt sind, sondern weil sie sich egal anfühlen. Wer hingegen konsequent auf Beziehungen setzt, schafft Loyalität, Differenzierung und echte Relevanz - gerade im Zeitalter von KI.
Für Startups, kleine Unternehmen und Produktteams bedeutet das: Ihr braucht mehr als gute Ideen. Ihr braucht Haltung, Empathie und die Fähigkeit, Beziehungen aufzubauen. Technologie kann vieles automatisieren. Beziehung nicht.
RX beginnt nicht im Interface. Es beginnt in der Einstellung. Und die lässt sich gestalten.